Entfesselt lernen
Zu Hause stark eingebunden zu sein und dadurch kaum Zeit für die Schule zu finden, ist ein Schicksal, das in Äthiopien viele Kinder ereilt. Wo unser Projekt ansetzt und was dies für das einzelne Kind bedeutet, zeigt die Geschichte von Emenete.

Die 12-Jährige lebt mit ihrer Familie im Dorf Kako Goda, 20 Kilometer ausserhalb der Bezirkshauptstadt von Bena Tsemay. Bena Tsemay liegt in der South Omo Zone im Südwesten von Äthiopien. Ein Gebiet, das zu einem Grossteil von Pastoralisten bewohnt wird, also von Hirtenvölkern, die mit ihren Herden stets auf der Suche nach Wasser und grünen Weiden sind.
Elterliche Verantwortung tragen
Wenn ihre beiden Eltern arbeiten, wird Emenete zum Rückgrat der Familie. Jeden Morgen in der Früh putzt sie das Haus und bereitet das Frühstück für ihre noch schlafenden Geschwister zu. Stehen keine anderen Verpflichtungen an, macht sie sich gegen 6 Uhr auf den Schulweg. Oft jedoch beugt sich die 12-Jährige dem familiären Druck und schwänzt den Unterricht. Da zu Hause der Strom fehlt, verbleibt abends nach der Arbeit wenig Zeit, um zu lernen und Hausaufgaben zu erledigen. Die Leistungen, die Emenete abverlangt werden, gehen weit darüber hinaus, was hierzulande von Gleichaltrigen erwartet wird. Traurigerweise gibt es im Umfeld der Schülerin viele Kinder, die ihr Schicksal teilen. Armut und schwierige Lebensumstände sind zwei Faktoren, die dazu führen, dass viele Kinder schon von klein auf ins Familiensystem eingebunden werden. Dazu kommt, dass die Unterrichtsqualität sehr tief ist und viele Eltern der Bildung deshalb wenig Nutzen abgewinnen können.

Wichtige Überzeugungsarbeit leisten
Genau hier setzt das Projekt «Zugang zu hochwertiger Bildung für äthiopische Kinder» an. Gemeinsam mit der lokalen Organisation Center of Concern führt die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi Sensibilisierungskampagnen durch, um Eltern aufzuzeigen, warum der Besuch der Schule so wichtig ist. Gleichzeitig zielen die Projektmassnahmen darauf ab, Kindern ein angenehmes Schulumfeld zu ermöglichen. Dies geschieht einerseits über Massnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur. Andererseits entwickeln wir mit den Projektpartnern Lernmaterialien und schulen Lehrkräfte in Unterrichtsmethoden, welche die Neugier der Kinder wecken und ihnen eine aktive Rolle im Unterricht geben.
Zurück zu Emenete und ihrer Familie. In der Sensibilisierungsarbeit mit den Gemeinschaften setzt das Projekt auf sogenannte Bildungsbotschafterinnen. Starke Frauen, die lokal verankert sind und deren Meinung Ansehen geniesst. Im Dorf von Emenete sind dies Almaze Kunsa und Azo Shelo. Der erste Kontakt mit der Familie verläuft ziemlich erfolglos. Erst nach wiederkehrenden Gesprächen können die beiden die Eltern vom langfristigen Nutzen eines regelmässigen Schulbesuchs überzeugen.

Zweierlei Wirkung
Emenete nimmt die Chance, die sich ihr bietet, dankbar an und lernt wissbegierig. Ihre Freistunden verbringt sie meist in der Bibliothek. Sie will den verpassten Unterrichtsstoff aufholen und dadurch ihrem Berufswunsch ein Stück näherkommen. Emenete hat sich zum Ziel gesetzt, Lehrerin zu werden. Seit dem Projektbeginn sind vier Jahre vergangen. Emenete besucht heute die siebte Klasse und steht kurz vor der Abschlussprüfung des zweiten Semesters. Neben dem Sportclub engagiert sie sich im Schulclub für Gleichberechtigung. Dort setzt sie sich dafür ein, dass die Mädchen an ihrer Schule nicht den Anschluss verlieren.
Die Bildungsbotschafterinnen, die das Projekt einsetzt, haben sich gleich in doppelter Hinsicht bewährt: Einerseits konnten sie viele Eltern von der Wichtigkeit von Bildung überzeugen. Andererseits reduzierte ihre Arbeit die Abwesenheitsquoten und förderte die schulischen Leistungen der betroffenen Kinder. Diese wiederum werden, befeuert von der Freude am Lernen, zu kleinen Bildungsbotschaftern innerhalb ihrer Peer-Gruppe.
Die zentralen Interventionen des Projektes
Gemeinsam mit der lokalen Partnerorganisation Center of Concern setzen wir uns in Äthiopien dafür ein, den Zugang zu qualitativ guter Primarschulbildung in der South Omo Zone zu verbessern. Mit folgenden Interventionen versuchen wir die grössten Herausforderungen zu bewältigen:
Für eine höhere Beteiligung der Gemeinschaft am Bildungsprozess:
– Bildungsbotschafterinnen ausbilden
– Monatliche Gesprächsrunden und Sensibilisierungskampagnen durchführen
Für verbesserte Lehr- und Lernprozesse:
– Lehrpersonen weiterbilden in der Anwendung moderner und kinderzentrierter Lehrmethoden sowie in der Herstellung und Integration zusätzlicher Lehrmittel
– Schulergänzendes Lehrmaterial zur Verfügung stellen
– Management schulen, damit es Führungs- und Coaching-Funktion wahrnehmen kann
– Verantwortlichkeiten und Rollen der Kinderschutzverantwortlichen klären und stärken
– Entwicklung von Lehrplänen in lokaler Sprache für die erste Klasse
Für eine sichere Schulumgebung:
– Klassenzimmer sanieren und geschlechtergetrennte Toiletten bauen, Mobiliar bereitstellen
– Kinderschutzpolitik etablieren, Schulklubs aufbauen und Partizipation der Kinder stärken
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