Genug geredet, liebe Politik
Wenn im verbalen Säbelrasseln das stärkere Argument gewinnt, die Turnhalle zur Wandelhalle wird und Kinder den Erwachsenen die Leviten lesen, dann hat die Stunde der Kinderkonferenz geschlagen. Was es bedeutet, wenn das Kinderdorf fest in Kinderhänden ist.

Mit wachem Blick und hochgezogenen Augenbrauen steckt die Lobbyistin des WWF ihrem Gegenüber eine Visitenkarte zu. Direkt daneben heischt ein Interessenvertreter der Autoindustrie Aufmerksamkeit. Eine Politikerin der Grünen befeuert ihre Gesprächspartner mit Gründen für mehr Klimaschutz und schliesst ihre argumentative Salve mit einem auffordernden Lächeln.
Spüren, wie Politik funktioniert
Es ist Donnerstagnachmittag. 62 Teilnehmende der Kinderkonferenz mimen in der Mehrzweckhalle des Kinderdorfes Politiker*innen, Lobbyist*innen und Journalist*innen. Mit dabei sind auch drei Vertretende der Kinderlobby Schweiz. Sie haben diesen Politsimulator entwickelt. Die Idee dahinter: Kindern das System der Politik auf spielerische Art und Weise verständlich zu machen. «Darüber hinaus wollen wir den Kindern verdeutlichen, wie wichtig sie sind und wie wichtig es ist, dass sie mitmachen und etwas sagen», erklärt Yael Bloch. Die Forderungen sind für die Arbeit der Kinderlobbyistin eine extrem gute Grundlage und ein wichtiges Indiz dafür, was den Kindern und Jugendlichen in der Schweiz wichtig ist. «Nur so kann ich auch dahinterstehen, in Bern in ihrer aller Namen zu sprechen.»

«Kinder sind die nächste Generation. Damit sie sich einsetzen können, müssen sie wissen, was sie dürfen und was nicht. Dies ist wichtig für ihr Leben. Und genau darum müssen Kinder ihre eigenen Rechte kennen. »
Den Nerv der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kinderkonferenz hat der spielerische Ansatz des Politsimulators getroffen. «Ich war Politikerin der GLP und konnte viele Menschen für mein Anliegen gewinnen», schwärmt Dilay. Iljen lobbyierte für das Klima und fand das Spiel sehr cool: «Speziell auch am Schluss, wo wir mega spannende Diskussionen führten.»
Entdecken, was man selber ändern kann
Freitagnachmittag, Pavillon im Haus Cocchinella. In der Raummitte stehen zwei Tische, auf denen die Teilnehmer*innen der Kinderkonferenz diejenigen Kinderrechte präsentieren, die ihnen besonders am Herzen liegen. Kleine Kunstwerke aus farbiger Knete. Kreative Ergüsse kindlicher Inspiration. Schulbücher und Malstifte, Spielplätze, Häuser. «Mir ist das Recht auf Bildung sehr wichtig», sagt Lena. Céline ist das Recht auf Schutz vor Krieg oder Gewalt ein grosses Anliegen.
So heterogen die Gruppe der Teilnehmenden, so vielfältig ist auch ihre Wahrnehmung der Kinderrechte. Gemeinsam ist den Kindern und Jugendlichen, dass sich viele von ihnen im Alltag für ihre Recht starkmachen. Michias zum Beispiel hat im Anschluss an die letzte Kinderkonferenz in dem Schulheim, in dem er lebt, die Nachhaltigkeit hinterfragt und konkrete Verbesserungen punkto Recycling oder Fairtrade initiiert. «Wir haben dem Schulleiter unsere Ideen unterbreitet und konnten dann vieles verändern. Das war wirklich cool.»
Andere Teilnehmende wie Davis oder Matteo setzen sich ein, wenn Kinder gemobbt werden oder sich nicht trauen, ihre eigene Meinung zu äussern. Darüber hinaus berichten sie ihren Mitschüler*innen, was sie an der Kinderkonferenz gelernt haben: «Das ist sehr wichtig», findet Matteo, denn das Thema Kinderrechte werde an der Schule viel zu wenig zur Geltung gebracht. Darum sagt er allen klar und deutlich: «Ihr habt Rechte und ihr dürft euch mitteilen!»

«Ich nehme vieles mit von der Kinderkonferenz, das weiss ich jetzt schon. Ich werde zukünftig einschreiten, wenn ich sehe oder höre, dass Kinderrechte nicht eingehalten werden. »

«Ich hoffe schon sehr, dass unsere Forderungen in Bundesbern umgesetzt werden. Und falls nicht, dann ist für mich klar: Nächstes Jahr kommt die nächste Chance.»
Aussprechen, was man braucht
Sonntagvormittag, 11 Uhr. In der Mehrzweckhalle beklatschen rund 180 stolze Eltern, Geschwister, Bekannte und Projektinvolvierte die einlaufenden Kinder. Sie haben eingeladen, um ihre Forderungen zuhanden der nationalen Politik zu präsentieren.

«Ich werde meiner ganzen Schule von der Kinderkonferenz erzählen und allen Schülerinnen und Schülern sagen, dass sie Rechte haben und sich mitteilen dürfen. Bis jetzt werden die Kinderrechte im Schulalltag viel zu wenig zur Geltung gebracht. »
So plädiert die Gruppe mit dem Workshop-Thema «Kinder im Krieg und auf der Flucht» beispielsweise dafür, dass jedes Kind die gleichen Chancen und Bedingungen bezüglich Bildung und Freizeit hat. «Es braucht zahlbare, günstige und gratis Angebote für jedes Kind», so die Rednerinnen. Weiter fordern sie die Staatsbürgerschaft per Geburtsrecht sowie mehr Unterstützung für unbegleitete minderjährige Asylsuchende. Von der Gruppe «Rassismus» erhält die Politik den Auftrag, leerstehende Häuser an Obdachlose und Flüchtlinge zu vermieten, für mehr Motivation statt Kritik im Schulunterricht sowie für mehr Aufklärung zum Thema Rassismus zu sorgen. Zum Thema «Cybermobbing» fordern die Kinder mehr Schutz vor Datensaugern und Hackern, sichere Apps sowie Vertrauenspersonen für Kinder.
«Ich wünsche mir wirklich, dass die Politiker*innen viel Zeit und Energie investieren, um unsere Forderungen umzusetzen», sagt Matteo und ergänzt: «Kinder sind auch sehr wichtig, nicht nur Erwachsene.» Sein Kollege Davis findet, dass die Politik nicht so viel reden und dafür eher mal was unternehmen solle. Ganz im Sinne des Slogans einer Umweltorganisation, bei der er sich mal engagiert hatte: stop talking, start planting.

«Es macht sehr viel Spass, dass man in verschiedenen Workshops entscheiden kann, was man machen will. Man tauscht sich sehr intensiv aus, teilt seine eigene Meinung und lernt dadurch viel dazu. Die Kinderkonferenz ist eine tolle Erfahrung. »

«Meine Essenz der Kinderkonferenz ist, dass Kinder Rechte haben, dass sie eine Meinung haben dürfen, das sagen können, wenn ihnen etwas nicht gefällt, dass sie mitbestimmen dürfen und ein Stimmrecht haben. »
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