«Kinderdorfstuhl» wird wieder zum Leben erweckt
10.11.2017 - 10:22 | Christina BrunFür Hans Fischli, den renommierten Schweizer Architekten des Kinderdorfes Pestalozzi, stand beim Bau des Kinderdorfes 1946 das Wohl des Kindes im Mittelpunkt sämtlicher Entwürfe von der Dorfanlage bis hin zur Möblierung. Jedes Kind hatte ein eigenes Bett, einen kleinen Tisch, einen Schrank und einen Stuhl. Letzterer, eben dieser «Kinderdorfstuhl», feiert nun sein «Revival».

Gemäss Hans Fischli sollte jedes Kind im Kinderdorf eine sogenannte Heimstatt mit normierten Möbel erhalten. Für den Bau dieser Heimstatt wurde 1945 der Zürcher Möbelschreiner Jacob Müller beauftragt. Er arbeitete zu dieser Zeit in seiner Bauwerkstatt an einem Sortiment einfach zerlegbarer Paketmöbel für das kriegsversehrte Europa. Die Anfrage Fischlis kam also zur richtigen Zeit und seine Möbel kamen modifiziert im Kinderdorf Pestalozzi zum Einsatz. Da Müller den Umfang des Auftrages nicht alleine bewältigen konnte, gründete er 1947 die Werkgenossenschaft «Wohnhilfe Zürich», die mit der Möblierung des Kinderdorfes Pestalozzi ihren ersten Grossauftrag in der Schweiz erhielt.
Drei Wettbewerbsteilnehmer, drei Stühle
Die nun anstehende umfangreiche Sanierung dieses einzigartigen Denkmals der Völkerverständigung soll die Charakteristika von Fischli bewahren, die Infrastruktur aber für die Nutzung der Gegenwart und Zukunft tauglich machen. Im Rahmen des Masterplans der Dorfsanierung hat man sich deshalb für den Weg des sanften Rückbaus und Modernisierung entschlossen. In diesem Kontext wurde auch die Idee geboren, Teile des Originalmobiliars wieder zum Leben zu erwecken.
In diesem Zusammenhang fand von August bis November 2017 ein kleiner Wettbewerb statt, mit dem Ziel, die Möglichkeit einer Reedition des Stabellenstuhls aus dem Kinderdorf von Hans Fischli und Jacob Müller, zu prüfen. Am 25. Oktober 2017 präsentierten die Wettbewerbsteilnehmer schliesslich ihre Interpretationen vom Stuhl der Expertenjury. Beim Wettbewerb mitgemacht haben Severin Müller, Bildhauer und Enkel von Jakob Müller, Thomas Lips, Inhaber der Wohnhilfe Zürich und Thomas Künzle, Architekt aus Gais. Die Expertenjury bestand aus Ueli Habegger, Architekturhistoriker und freischaffender Denkmalpfleger, Urs Hobi, Dorfschreiner des Kinderdorfes Pestalozzi, Samuel Ulrich Eugster, Mitglied des Stiftungsrates des Kinderdorfes Pestalozzi, Jürg Rusch, Inhaber by marei Einrichtungskonzepte AG in St.Gallen sowie Andreas Bechtiger, Designer und Inhaber Atelier Bechtiger in St.Gallen.
Der Gewinner ist...
Nach einem spannenden Vormittag mit toller Atmosphäre, einer angeregten Diskussion und einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt war schnell klar: Das Original von Severin Müller hat gewonnen. Der Entscheid fiel einstimmig aus. Der «Sieger-Stuhl» überzeugt nicht nur in Design und Bequemlichkeit, sondern auch in seiner Robustheit, Materialauswahl und schlussendlich auch in den Herstellungskosten.
Wie geht es nun weiter? In den kommenden Wochen werden sich die Beteiligten mit der Umsetzung des Projektes und den weiteren Detailfragen auseinandersetzen. Ziel ist es, das Projekt partnerschaftlich mit dem Enkel von Jakob Müller, Severin Müller, und der Wohnhilfe Zürich zum Leben zu erwecken. Denn schliesslich handelt es sich beim Kinderdorfstuhl um mehr als 'nur' einen Stuhl. Es handelt sich um ein Stück Schweizer Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.