Das Kinderdorf früher und heute

25.07.2016 - 08:47 | Christin Eugster

Die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi feiert ihr 70-jähriges Bestehen. Anuti Corti, Witwe des Kinderdorf-Gründers Walter Robert Corti, hat die Entwicklung des Kinderdorfes von der Gründung bis heute miterlebt. Die 97-jährige Zeitzeugin blickt zurück auf 70 Jahre Kinderdorf Pestalozzi.

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Stiftung Kinderdorf Pestalozzi: Was inspirierte Ihren Mann, Walter Robert Corti, zum Aufruf in der Zeitschrift «DU», ein Kinderdorf zu bauen?
Anuti Corti: Als elfjähriger Knabe fand Walter auf einer Bergwanderung in einem Waffenrock eines gefallenen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg einen rührenden Brief. Die Mutter des toten Soldaten war besorgt über das lange Schweigen ihres Sohnes. Dieses Ereignis vergass Walter nie mehr. Er wollte zu einer friedlicheren Welt beitragen. Als der Zweite Weltkrieg endete, nahm er seine Chance wahr.

Stiftung Kinderdorf Pestalozzi: Erinnern Sie sich an die Grundsteinlegung vom 28. April 1946?
Anuti Corti: An jenem Landsgemeindesonntag herrschte grosse Aufregung. Die Zeremonie wurde von der Bevölkerung und Schulklassen begangen. Vom Berg herunter rief die kleine Urseli Lutz: «Ihr Mätle und Buebe, wo kän Vater und kä Muetter meh hend, chönd zo üs ue, d Stobe isch parat.» Als die Dokumentenbüchse eingemauert wurde, unterbrach der kleine Chläusli die Zeremonie und fragte: «Mami, dörf ich au hälfe?» Natürlich durfte er.

Stiftung Kinderdorf Pestalozzi: Was fühlten Sie, als die Idee des Kinderdorfes Wirklichkeit wurde?
Anuti Corti: Ich war noch sehr jung und hatte zwei intensive Jahre der Vorbereitung miterlebt. In unserer Zweizimmerwohnung herrschte ein internationaler Boulevard. Walter mobilisierte viele Freunde und Bekannte aus aller Welt. Als das Kinderdorf realisiert werden konnte, waren alle gespannt und überglücklich.

Stiftung Kinderdorf Pestalozzi: Das Kinderdorf wurde mit Hilfe von zahlreichen Freiwilligen realisiert. Wie motivierten Sie die Menschen für den Einsatz?
Anuti Corti: Die Zeitungen waren voller Artikel schrecklicher Kriegsbilder, wodurch der Helferwille enorm war. Selbst die Kleinsten verkauften Kleeblätter mit Glückskäfern, das damalige Kinderdorfsymbol. Dank dem Willen meines Mannes, seiner Ausstrahlung und seiner Kraft gelang es, Menschen von seinem Projekt zu überzeugen. Natürlich war er auf Unterstützung angewiesen. Mit den Helfern entwickelten sich langjährige Freundschaften.

Stiftung Kinderdorf Pestalozzi: Wenn Sie zurückblicken, an welche Momente erinnern Sie sich speziell?
Anuti Corti: Mein ganzes Leben war besonders. Während acht Monaten lebten wir im Kinderdorf. Kriegswaisenkinder, deren Väter sich gegenseitig bekämpften, lernten im Kinderdorf ein friedliches Zusammenleben. Mit den Volksliedern und farbigen Folkloren war das Kinderdorf ein wahres Märchenland.

Stiftung Kinderdorf Pestalozzi: Das Kinderdorf hat sich stark gewandelt. Wie empfinden Sie die Entwicklung?
Anuti Corti: Inmitten des zerbombten Europas war das Kinderdorf eine Keimzelle des Friedens. Später folgte eine kleine Baisse, weil keine Kinder mehr aufgenommen wurden. Das Dorf drohte in seiner Eigenheit unterzugehen. In den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren folgte eine Führung, die verstand, dass das Kinderdorf Pestalozzi ein Friedens- und Lebenswerk von Walter Robert Corti ist. Walter wäre mit der heutigen Entwicklung der Stiftung sicher zufrieden.

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