Meldung
Lesen
Radioprojektwoche Kinderdorf Pestalozzi Frenkendorf Sissach
Projekte Schweiz

Ein Schritt nach dem anderen

Zehn Etappen, 200 Kilometer, ein Ziel: Zwei Schulklassen aus Frenkendorf wandern quer durch die Schweiz und setzen sich dabei mit ihrer eigenen Zukunft auseinander. Begleitet wurden sie von einer Klasse aus Sissach und dem Radiobus der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi, der Stimmen und Stimmungen von unterwegs einfing.

Der Weg war weit: 200 Kilometer von Frenkendorf (BL) nach Beatenberg (BE). Zehn Tage lang wanderten die Schülerinnen und Schüler der Klassen 2A und 2B der Sekundarschule Frenkendorf durch die Schweiz. Mit dabei: Wanderschuhe, Sonnencreme und der Radiobus von powerup_radio. Vier Mal rückte das mobile Radiostudio mit Schüler*innen der Oberstufe Sissach an, um mit den wandernden Jugendlichen auf Sendung zu gehen.

Für Elio, 14 Jahre alt, war die Wanderung weit mehr als ein Schulprojekt: «Das Besondere ist, dass wir wahrscheinlich die Einzigen sind, die das Projekt genau so durchführen können», erzählt er. Über Monate hinweg hatten die beiden Baselbieter Klassen durch Gesangsauftritte auf Flohmärkten, Handwerksprojekte und Sponsorenläufe Geld gesammelt. Die Idee: Nicht nur symbolisch Berge überwinden, sondern sich auch realen Herausforderungen stellen – wie etwa der Berufswahl, die vielen bevorsteht.

Radioprojektwoche Kinderdorf Pestalozzi Frenkendorf Sissach

Haltung erlebbar machen

Bottom Up war nicht nur der Name des Projekts, sondern auch die Haltung, die von den Lehrpersonen vermittelt wurde. Für Elio war das Gehen eine Form des Durchlüftens: «Einfach mal nur über die eigenen Berufsvorstellungen, Perspektiven und Bedürfnisse nachdenken – oder eben genau nicht.» Die Wanderung bot keine fertigen Antworten, aber Raum für wichtige Fragen: Wo will ich hin? Was traue ich mir zu? Die Etappen halfen, sich selbst zu sortieren, mit Abstand vom Schulalltag, mit Zeit statt Zeitdruck. «Nicht nur Kompetenzen A und B werden vermittelt», sagt Christoph Gloor, Lehrer aus Sissach, «sondern echte Erfahrungen aus dem Leben.»

Das Projekt traf so einen entscheidenden Moment: kurz vor der Berufswahl, in einer Phase, in der Orientierung mehr bedeuten kann als Informationsblätter. Es ging darum, Selbstvertrauen zu gewinnen: Schritt für Schritt, mit offenen Augen und ohne ständige Reizüberflutung. Die Jugendlichen haben nicht nur gelernt, was sie wollen, sondern auch, dass sie sich selbst etwas zutrauen dürfen.

«Die Jugendlichen haben gelernt, miteinander zu kommunizieren, Interviews zu führen, partizipativ zu gestalten und demokratisch zu bestimmen.»

Christoph Gloor, Klassenlehrer

Aus Gruppen wird eine Gemeinschaft

«Am Anfang hat man die Unsicherheit gemerkt», beschreibt die Basler Lehrerin Judith Burkhart den Start. Doch schon bald sei aus zwei Klassen eine Gemeinschaft geworden: «Es ist wirklich bemerkenswert, wie wir zu einer Einheit zusammengewachsen sind.» Besonders schön waren für sie jene Momente, in denen Jugendliche über sich hinauswuchsen, trotz Blasen, Müdigkeit oder Sonnenbrand.

Gaia, ebenfalls 14, hat diese Veränderung gespürt: «In der Klasse war es früher oft Jungs gegen Mädchen. Jetzt reden wir alle miteinander, hören uns gegenseitig zu und verstehen uns besser. Die bestehenden Gruppen vermischen sich – ich hoffe, das bleibt so.» Die Wanderung habe nicht nur neue Orte, sondern auch neue Seiten an den Mitschüler*innen sichtbar gemacht. Trotz oft müden Beinen fand sich eine Gemeinschaft zusammen: Bei gemeinsamen Abendessen in der Natur, bei Glacépausen zwischendurch oder bei Runden auf der Solarbobbahn, irgendwo zwischen Baselland und Thunersee.

Radioprojektwoche Kinderdorf Pestalozzi Frenkendorf Sissach

Radiobus als Lernfeld

Während die Jugendlichen aus Frenkendorf zu Fuss unterwegs waren, reiste der Radiobus mit Schüler*innen aus der benachbarten Sekundarschule Sissach mit. Christoph Gloor koordinierte das Projekt: «Es ist eine Lebensschule. Die Jugendlichen haben gelernt, miteinander zu kommunizieren, Interviews zu führen, partizipativ zu gestalten und demokratisch zu bestimmen.» 

Die Medienbildung war kein Beiwerk, sondern Teil des Konzepts. Als fliegende Reporterinnen berichteten Schüler*innen live von unterwegs: über Etappen, Erschöpfung und Erfolgserlebnisse. Dabei planten, produzierten und sendeten die Kinder aus den beiden Schulen ihre Beiträge selbstständig, vom Interview bis zur Moderation. Sie setzten sich nicht nur mit Technik auseinander, sondern auch mit Themen, die sie persönlich bewegten. In einem geschützten Rahmen lernten sie, ihre Meinung zu äussern, sprachen über Wünsche, Ängste und Perspektiven. Das Radioprojekt wurde so zum Übungsfeld für Artikulation, Dialog und Mitgestaltung.

Radioprojektwoche Kinderdorf Pestalozzi Frenkendorf Sissach

Zukunft braucht Perspektive

Das Projekt steht sinnbildlich für das, was die Jugendlichen gerade erleben: Sie stehen am Anfang eines Weges, der in ihre Zukunft führt. «Ich habe gelernt, dass ich mir mal Luft verschaffen kann, bevor ich mich wieder auf das Wesentliche konzentriere», erklärt Elio. «Und ich kann auf mich vertrauen, dass ich das Richtige auswählen werde.» Der Schüler aus dem Baselbiet strebt einen sozialen Beruf an, am liebsten als Pfleger oder Therapeut. Auch Gaia hat konkrete Vorstellungen über ihre berufliche Laufbahn: «Ich möchte Dentalassistentin werden, weil es da viele Weiterbildungsmöglichkeiten gibt.» Die Wanderung von Baselland bis zum Thunersee förderte weit mehr als körperliche Bewegung. Sie durchbrach gewohnte Strukturen, nicht nur geografisch, sondern auch sozial. Die Frenkendorfer Schülerinnen und Schüler unterstützten einander über bisherige Gruppen hinweg, wurden offener, mutiger, solidarischer. Gleichzeitig wuchs ihr Vertrauen in die eigene Handlungskraft und ihre Fähigkeiten. Wer 200 Kilometer zu Fuss bewältigt, traut sich auch die nächsten grossen Schritte im Leben zu.

Die Radioprojekte der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi, und darunter auch das gemeinsame Projekt Bottom Up mit Sissach, schaffen Räume, in denen junge Menschen sich entfalten, mitreden und mitgestalten können. Sie lernen, Medien reflektiert zu nutzen, respektvoll zu kommunizieren und unterschiedliche Perspektiven im gesellschaftlichen Diskurs zu berücksichtigen. Gleichzeitig werden sie ermutigt, Herausforderungen anzunehmen, selbstständig zu handeln und konstruktiv mit Unstimmigkeiten umzugehen. Während Radioprojekte die Ausdrucksfähigkeit und Medienkompetenz fördern, eröffnet das Wanderprojekt wertvolle Freiräume zum Denken, zum Durchatmen und zum Wachsen. Inmitten der Berufsorientierung entsteht ein Erfahrungsraum, der Reflexion ermöglicht und neue Perspektiven aufzeigt. Wer während zehn Tagen Herausforderungen meistert, gewinnt Selbstvertrauen. Denn nicht jeder Weg ist gleich schwierig, aber jeder Schritt zählt.

Jetzt spenden